Vereinsführung ist Mannschaftsaufgabe

Aus der Kreiszeitung / Böblinger Bote vom 19.04.2016

Führungswechsel beim Handels- und Gewerbeverein Holzgerlingen (HGH): Interview mit Edeltraud Stribick und Lennart Leibfried

Kaum ein zweiter Handels- und Gewerbeverein stellt so vieles auf die Beine, wie der von Holzgerlingen. Nach acht Jahren hat die Vereinsvorsitzende Edeltraud Stribick den Führungsstab weitergegeben. Auf der Hauptversammlung letzte Woche wurde Rechtsanwalt Lennart Leibfried (34) einstimmig zu ihrem Nachfolger gewählt.

Von Martin Müller

Herr Leibfried, Ihre Kanzlei befindet sich in Böblingen und damit etwas ab vom Schuss. Fehlt ihnen die ganz große Nähe zu Holzgerlingens Gewerbetreibenden, Händlern, Handwerkern, Dienstleistern und Gastronomen?

Leibfried: Auf den ersten Blick möglicherweise. Ich bin aber mit Holzgerlingen so eng verwurzelt, dass ich diesen Kontakt sicherlich in kurzer Zeit herstellen kann. Dass das – zumindest was die ganze nahe Zukunft angeht – nicht vergleichbar sein wird mit meiner Vorgängerin, trifft sicher zu. Es wäre nicht realistisch, wenn ich etwas anderes behaupten würde. Ich habe aber ganz klar vor, mich kurzfristig vertraut und bekannt zu machen. Und ich will den Gewerbetreibenden das Gefühl geben, dass sie sich genauso vertrauensvoll an mich wenden können wie an meine Vorgängerin. Bloß weil mein Büro etwas weiter weg liegt – daran sollte es nicht liegen.

Als Rechtsanwalt stehen Sie aber vielleicht doch etwas abseits von Sorgen und Nöten, die einen ganz gewöhnlichen Handwerker oder Händler umtreiben?

Leibfried: Ich sehe mich als Rechtsanwalt auch als Unternehmer. Von daher meine ich, dass uns im Kern die gleichen Dinge umtreiben. Sicherlich sind unsere Alltagsprobleme vielleicht andere als die eines klassischen Handwerksbetriebs. Aber ich meine, dass ich mich da gut einarbeiten kann und das erforderliche Verständnis habe. Ich sehe mich nicht als irgendwie abgehobenen Intellektuellen und Juristen, der vom „normalen Leben“ nichts versteht. Zumal ich als Arbeitsrechtler ja auch eine relativ große Mandantschaft aus diesem Kreis habe und immer wieder – auf juristischer Ebene – mit alltäglichen Problemen etwa von Handwerkern zu tun habe.

Aber so etwas wie beispielsweise die „einheitlichen Ladenöffnungszeiten“ hinzubekommen – ein altes Pferd in Holzgerlingen, das nie so recht aufgezäumt wurde – daran ist ja sogar schon Frau Stribick gescheitert!?

Leibfried: Da existieren wohl in der Tat verwachsene Strukturen: Wenn das selbst meine Vorgängerin nicht hinbekommen hat, wird es mir sicherlich auch nicht leichter fallen. Wenn aber großes Interesse daran besteht, kann man sicher nochmal einen Vorstoß unternehmen. Ich persönlich würde einheitliche Ladenöffnungszeiten begrüßen.

Mit Eberhard Hiller, Thomas Maurer und Lutz Beitlich haben Sie erfahrene Mitarbeiter im Vorstand, die Ihnen sicher zuarbeiten werden?

Leibfried: Das war für mich die Grundvoraussetzung. Hätte es eine Generalerneuerung im Vorstand gegeben, wäre ich sicher nicht bereit gewesen, das Führungsamt zu übernehmen, weil es mir dann schlicht an inhaltlicher Erfahrung gemangelt hätte. Es ist ganz entscheidend, dass ich auf den Erfahrungsschatz der Vorstand- und Ausschussmitglieder zurückgreifen und von ihnen profitieren kann. Auch meine Vorgängerin hat sich bereit erklärt – sicherlich in abnehmendem Umfang – an der einen oder anderen Stelle beratend tätig zu sein. Sowieso: Einen Verein zu führen, ist immer eine Mannschaftsaufgabe. Einer steht halt an der Spitze und repräsentiert. Aber die Probleme werden alle gemeinsam beraten. Und man findet eine gemeinsame Lösung, die von allen getragen wird. Der Vereinsvorsitze ragt da vielleicht etwas mehr heraus – aber das gilt nur in der Außendarstellung.

Mit Eberhard Hiller, Thomas Maurer und Lutz Beitlich haben Sie erfahrene Mitarbeiter im Vorstand, die Ihnen sicher zuarbeiten werden?

Leibfried: Das war für mich die Grundvoraussetzung. Hätte es eine Generalerneuerung im Vorstand gegeben, wäre ich sicher nicht bereit gewesen, das Führungsamt zu übernehmen, weil es mir dann schlicht an inhaltlicher Erfahrung gemangelt hätte. Es ist ganz entscheidend, dass ich auf den Erfahrungsschatz der Vorstand- und Ausschussmitglieder zurückgreifen und von ihnen profitieren kann. Auch meine Vorgängerin hat sich bereit erklärt – sicherlich in abnehmendem Umfang – an der einen oder anderen Stelle beratend tätig zu sein. Sowieso: Einen Verein zu führen, ist immer eine Mannschaftsaufgabe. Einer steht halt an der Spitze und repräsentiert. Aber die Probleme werden alle gemeinsam beraten. Und man findet eine gemeinsame Lösung, die von allen getragen wird. Der Vereinsvorsitze ragt da vielleicht etwas mehr heraus – aber das gilt nur in der Außendarstellung.

Zuletzt gab’s als jüngste Hinterlassenschaft von Edeltraud Stribick die „Holzgerlinger-Herbst-Impressionen“, eine Veranstaltungs- und Vortragsreihe von Mitgliedsfirmen im Vorfeld zum verkaufsoffenen Sonntag im Oktober. Bleibt das eine einmalige Sache?

Leibfried: Ganz ehrlich, da kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt keine abschließende Antwort geben. Da muss ich mich erst mit meinem Gremium beraten, wie wir das angehen wollen.

Die Gewerbe Open am 26. Juni und der Holzgerlinger Herbst im Oktober sind die Highlights in diesem Jahr. Wie laufen die Vorbereitungen? Lässt Sie das Multi-Organisationstalent Edeltraud Stribick da ganz alleine?

Stribick (lacht): Aber nein, ganz bestimmt nicht. Die Strippen sind auch längst gezogen. Der Großteil der Grundorganisation, das Rahmenprogramm und die rechtlichen Punkte – all das ist für die Gewerbe open in trockenen Tüchern. Es geht jetzt einfach darum, die Teilnehmer noch ein bisschen anzuschubsen, damit sie auch ihre Aktionen an die HGH-Geschäftsstelle melden. Manche muss man halt im Tagesgeschäft daran erinnern, dass es jetzt Zeit wird, langsam etwas zu tun. Und selbstverständlich stehe ich auch weiterhin beratend zur Verfügung. Es wäre ja niemals in meinem Sinn gewesen, mich vollständig auszuklinken.

Der HGH hat sich früher einmal als Gewerbeverein auch für Altdorf und Hildrizhausen verstanden – mit der Schönbuchlichtung als einheitlichem Wirtschaftsraum. Gibt es Bestrebungen, wieder mehr in diese Richtung zu denken – auch um ein größeres Gegengewicht zu den Städten oder den Megamärkten auf der grünen Wiese zu setzen?

Stribick: Schön wär’s, wenn man dies wieder mehr aktivieren könnte. Aber nur einige wenige unserer 145 Mitgliedsfirmen kommen noch aus den Nachbarorten. Immer wieder haben Firmen aus Altdorf und Hildrizhausen das Argument vorgetragen: „Wenn wir HGH-Mitglied sind, dann bitte schön auch vollwertig. Und dann will ich auch Aktionen vor meiner Haustüre.“ Das wird nun aber sicher nicht der Fall sein, ganz einfach, weil sich dies nicht lohnen würde. Die großen Aktionen werden immer in Holzgerlingen stattfinden.

Und wäre es denkbar, das Punkte-Kärtle – Holzgerlingens spezielles Rabattsystem der Kaufkraftbindung – mehr auf die Schönbuchlichtung auszudehnen?

Stribick: Wir haben sehr viele Punkte-Kärtle- Nutzer aus Altdorf, Hildrizhausen und Schönaich. Aber eben keine Akzeptanzstellen dort. Voraussetzung für eine solche Akzeptanzstelle ist: Man muss Mitglied sein im HGH. Dann spricht prinzipiell nichts dagegen.

Leibfried: Ich denke, die Mitglieder nehmen den HGH in erster Linie schon als Holzgerlinger Verein wahr, als Zusammenschluss, um zuallererst den Wirtschaftsstandort hier zu stärken. Auch das Punkte-Kärtle als Instrument der Kaufkraftbindung ist angelegt mit dem Fokus auf die Stadt und weniger auf die ganze Schönbuchlichtung. Das sollte auch nicht verwässert werden. Ich vermute, dass das überörtliche Konkurrenzdenken doch stark ausgeprägt ist – vor allem auch innerhalb einzelner Gewerke oder Handelssegmente. Natürlich wäre auch ein ortsübergreifendes Verständnis schön – als Gegenspieler zu den großen Städten und Einkaufszentren –, um ein Abwandern zu verhindern. Aber ich vermute, dass die Bereitschaft, sich dorthin zu entwickeln, nicht besonders ausgeprägt ist. Und es wäre wahrscheinlich nicht von Erfolg gekrönt, wenn wir uns jetzt massiv dafür einsetzen würden.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt wurde für Flüchtlinge zuletzt erleichtert. Was halten Sie von der Idee, Mitgliedsfirmen fit zu machen in allen Fragen rund um Ausbildung und Beschäftigung von Flüchtlingen?

Stribick: Wir waren da nicht untätig: Über den HGH haben wir alle Mitgliedsfirmen angeschrieben mit der Frage, ob sie zunächst einmal Praktikumsplätze anbieten können. Der Kontakt wird dann entweder direkt über uns oder über das Rathaus hergestellt. Und der eine oder andere hat dadurch auch schon ein Praktikum machen können. Der HGH kann da aber nur als Vermittler wirken.

Leibfried: Grundsätzlich halte ich das für eines der wichtigsten Themen in naher Zukunft. Einerseits im Hinblick auf das Zusammenleben in der Gesellschaft, aber auch im Hinblick auf die Nachwuchssorgen bei Händlern und Handwerkern. Natürlich gilt es zunächst einmal, die ganz große Hürde der Sprachbarriere zu überwinden. Hier kann der HGH nicht selbst helfen, da muss es ein Hand-in-Hand geben von staatlichen und kommunalen Einrichtungen und Akteuren. Aber wenn der HGH in einer Art Schirmherrschaft als Mittler auftreten kann, der Nachfrage und Angebote zusammenbringt – dann spricht da überhaupt nichts dagegen. Und wenn es darum geht, etwaige Ängste bei den Firmen abzubauen oder rechtliche Rahmenbedingungen zu erläutern: Ich bin gerne bereit, mich hier persönlich zu engagieren und auch mit meinen Sonderkenntnissen einzubringen – sei es in einem Vortrag oder in einer aktuellen Stunde, die wir für Mitgliedsbetriebe anbieten können. Die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber den Flüchtlingen nimmt ja eher ab. Hier sollten wir dringend entgegenwirken. Das halte ich auch ganz persönlich für sehr wichtig.

Frau Stribick wenn Sie zurückblicken, können Sie eigentlich doch sehr zufrieden und stolz sein? Schwingt auch etwas Wehmut mit?

Stribick: Würde keine Wehmut mitschwingen, hätte ich die letzten acht Jahre vergeudet. Der HGH war mein Kind, und ich habe das mit Herzblut gemacht. Ich bin ja auch nicht im Zorn gegangen oder weil ich keine Lust mehr hätte, sondern weil ich beruflich und familiär stark gefordert bin. Ein solches Ehrenamt kann ich aber nur ausfüllen, wenn ich es zu 100 Prozent mache. Und weil das nicht mehr geht, musste es auf den Prüfstand. Halbe Sachen zu machen, ist mein Ding nicht. Ich habe aber ein sehr gutes Gefühl dabei, dass jetzt Lennart Leibfried den Verein führt. Und bin sehr, sehr froh, dass der Wechsel so reibungslos funktioniert hat.

Text / Foto: Martin Müller

Artikel als PDF - hier klicken!