Haarige Zeiten für Friseure im Kreis Böblingen

Aus der Kreiszeitung / Böblinger Bote vom 10.01.2019

Das klassische Friseur-Handwerk steht von zwei Seiten unter Druck: Billig-Konkurrenz jagt Kunden ab und Fachkräfte fehlen

Neue Friseurgeschäfte gibt es gerade in größeren Städten zuhauf, doch die angestammten Meister geraten zunehmend unter Druck. Sie finden kaum gute Fachkräfte, und die Konkurrenz bietet Haareschneiden zum Discountpreis an. Zu spüren bekommt das auch das Ehepaar Seiler in Holzgerlingen.

Von Jan-Philipp Schlecht

HOLZGERLINGEN. Kurz nach der Begrüßung im Salon von Friseur Martin Seiler holt seine Frau Anita ein gerahmtes Bild hervor. Es entstand auf einer Betriebsfeier in den 90er-Jahren. Auf dem Schwarzweiß-Foto zu sehen ist das vielköpfige Team von "Martin Seiler Frisuren", das damals aus 15 Mitarbeitern bestand. Heute hat der Friseurmeister nur noch zwei Gesellinnen angestellt. Zu dritt bedienen sie die Kundschaft, die zwar immer noch in das schmucke Geschäft in der Tübinger Straße in Holzgerlingen strömt. Wenn auch längst nicht mehr so wie einst.

"Ich könnte locker noch zwei bis drei Mitarbeiter mehr einstellen", sagt Seiler, der dort seit 1987 seinen Sitz hat. Doch der Friseurberuf ist bei Auszubildenden längst nicht mehr so angesagt, wie das einst der Fall war. Der Arbeitsmarkt: leergefegt. "Als Gesellin oder Geselle verdient man im ersten Jahr laut Tarifvertrag 1570 Euro brutto", sagt Seiler. Kein Gehaltsstufe also, die besonders viele hinter dem Ofen vorlockt. Zumal das Image von Handwerksberufen laut Seiler in den vergangenen Jahren arg gelitten hat. Der Gesetzgeber habe dem Handwerk mit dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung keinen Gefallen getan. Im Gegenteil.

"Das ist ein dickes Ei", sagt der Friseurmeister. Immer mehr Eltern schickten ihre Kinder aufs Gymnasium und wollen sie später an einer Hochschule sehen. Die Schülerzahlen an den Realschulen und vor allem den Werkrealschulen allerdings gingen automatisch zurück. Damit sinkt auch die Zahl der Schulabgänger, die sich zu einer Berufsausbildung entschließen. "Was hilft es uns, wenn alle studiert haben", sagt er. Ein Klagelied, das neben den Friseuren auch viele weitere klassische Handwerksbetriebe singen, die händeringend nach qualifiziertem Nachwuchs suchen. Gerade in der Industrieregion Landkreis Böblingen tun sie sich aber schwer. Die Weltkonzerne bieten häufig humanere Arbeitszeiten und nicht zuletzt mehr Geld. Doch der Fachkräftemangel ist bei Weitem nicht das einzige Problem der Friseure.

Seiler: "Es gibt rund 80 000 Friseure in Deutschland. 30 000 davon laufen mittlerweile als Kleinunternehmen." Die Aussage klingt nicht nach Skandal. Aber es ist einer. Denn: Kleinunternehmer sind bis zu einem Jahresumsatz von 17 500 Euro von der Umsatzsteuer befreit. Auch müssen sie diese nicht gegenüber dem Finanzamt ausweisen oder gar vorab bezahlen, um sie sich wieder erstatten zu lassen. Was freilich vieles vereinfacht. Der Gesetzgeber hat diese Regelung geschaffen, um Existenzgründern den Weg in die Selbstständigkeit zu ebnen. Eine dauerhafte Existenz sollte auf anderen Beinen stehen. Im Falle der vielen Klein-Friseure wittert Seiler andere Motive.

"Um ein Friseurladen zu betreiben, benötige ich in der Regel ein Ladenlokal. Schon allein das dürfte mehrere tausend Euro Kosten pro Jahr verursachen", sagt er. Zieht man die von den maximal erlaubten 17 500 Euro ab, bleibt kaum genug zum Leben, rechnet Seiler vor. Zumal Kosten für Personal oder weiterer Aufwand noch gar nicht berücksichtigt ist. Seiler geht davon aus, dass viele der vermeintlichen Kleinbetriebe gar nicht gründlich vom Finanzamt geprüft werden, da dies in der Regel sehr aufwändig sei. Stimmt seine Vermutung, wären unter den 30 000 Kleinunternehmen etliche schwarze Schafe, die ihre Einnahmen nicht korrekt angeben. "Das ist ein total unfairer Wettbewerb in der Branche", sagt er. Denn die Billig-Friseure können dadurch den Preis drücken.

"Die machen den Umsatz eher über die Masse", sagt er. Zwar nehmen sie beispielsweise für einen Herren-Haarschnitt nur 15 Euro, würden aber jede Stunde bis zu vier Kunden durchschleusen, wodurch ein akzeptabler Stundenlohn von 60 Euro herauskommt. Preise, zu denen er nicht zu Kamm und Schere greifen kann. "Wir zahlen unsere Mitarbeiter nach Tarif." Zudem bildeten Seiler und viele seiner Kollegen junge Nachwuchskräfte aus, seien an Gesellen- und Meisterprüfungen der Innung gebunden. Die Handwerkskammer schreibt dies grundsätzlich bei jeder Neueröffnung vor. Es sei denn, der Gründer kommt aus einem Nicht-EU-Land. Dann gibt es eine Sondererlaubnis. Ein Schlupfloch, das viele Discount-Friseure nutzen.

Vor 30 Jahren gab es in Herrenberg sechs Friseure, heute 43

Ein Lied davon singen kann auch Seilers Kollegin Annett Hommel, Innungsobermeisterin im Landkreis Böblingen und Inhaberin des gleichnamigen Salons in der Stuttgarter Straße 29 in Herrenberg. Den gibt es schon seit rund 60 Jahren, Hommel hat ihn 1989 von ihren Eltern übernommen. "Wir hatten mal sechs Mitarbeiter, jetzt sind wir noch zu dritt", sagt sie. Die Zahl der Friseure allein in Herrenberg hat sich dabei nicht reduziert. "In den 70er- und 80er-Jahren gab es in Herrenberg sechs Friseure. Aktuell sind wir bei 43."

Gemeinsam mit Martin Seiler und weiteren Kollegen der Innung wollen sie den Friseurberuf bis zum Jahr 2030 wieder attraktiv machen. Auch finanziell. "Das hieße aber, dass wir die Gehälter jedes Jahr um zehn Prozent anheben müssten, um wieder wettbewerbsfähig zu sein", sagt Martin Seiler. Von der Regierung fordert er etwa, das Schlupfloch bei den Kleinunternehmern zu schließen, indem die Regelung auf zwei Jahre begrenzt ist. Außerdem wollen die Friseure ihr Anliegen publik machen, Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Doch eine große Lobby hat man in Berlin bis dato nicht. Noch nicht.