Interview mit Alex Stamm: "Die Hürden im Kopf sind noch ziemlich groß"
Aus der Kreiszeitung / Böblinger Bote vom 27.01.2021
Text / Foto: Martin Müller
Alex Stamm, Vorsitzender des Handels- und Gewerbevereins Holzgerlingen und Mitbegründer des Start-ups merkando hält es für eine Frage des Überlebens, einen Online-Marktplatz für Einzelhändler auf der Schönbuchlichtung zu verankern.
HOLZGERLINGEN. Seit November ist die Holzgerlinger Firma merkando (schoenbuch. merkando.shop) am Start. Ein Online-Marktplatz für die Schönbuchlichtung, der unter dem Dach des Handels- und Gewerbevereins von Holzgerlingen (HGH) groß geworden ist. Zielsetzung: Den lokalen Einzelhandel und Gaststätten-Betrieb nicht nur in Zeiten der Pandemie hochzuhalten, sondern ihn auf ein zweites Standbein zu stellen. Die Kreiszeitung hat bei Alex Stamm, dem HGH-Vorsitzenden und einem der fünf Firmengründer nachgefragt.
Hallo Herr Stamm, können Sie in einem Satz nochmal das zentrale Anliegen von merkando formulieren?
Es geht uns darum, einer regionalen Gruppe von Händlern und Gastwirten zu verdeutlichen, dass das Thema der Online-Vermarktung unumgänglich wird. Wir bieten Hilfestellungen an und einen Online-Marktplatz. Um ein solches Portal zu öffnen, braucht es viel Know-how und es muss viel Zeit investiert werden. Die Möglichkeiten dazu hat der einzelne Händler nicht.
Das hat sicher auch mit der Pandemie zu tun?
Die Idee ist im ersten Lockdown geboren worden, hat sich aber daraus emanzipiert. Alle, die einen funktionierenden Online-Marktplatz haben, sind jetzt natürlich besser aufgestellt als die, die nur zuschließen können. Wir nehmen aber auch die Zeit nach der Pandemie in den Blick - da werden sich die Welt und das Einkaufsverhalten deutlich verändert haben.
Eben: Textilien, Schuhe, Haushaltswaren, Elektroartikel: Alle Welt shoppt online. Hat der Lockdown merkando Starthilfe gegeben?
Vielleicht schon. Weil wir direkt mit dem zweiten Lockdown am Start waren, hat sich bestimmt der ein oder andere gedacht, dass es doch gut wäre, aufzuspringen. Wir haben jetzt immerhin neun Händler und fünf Restaurants auf unserem Marktplatz online - teils mit zwei Produkten, teils aber auch mit 2500 Artikeln.
Aber sind Sie mit diesen 14 Akteuren zufrieden? Da ist doch noch Luft nach oben?
Da ist natürlich viel Luft nach oben. Zumal wir das für die ganze Schönbuchlichtung anbieten. Es ist eben so, dass der Online-Handel von vielen immer noch als etwas angesehen wird, das einem das Leben schwer macht. Und weniger als etwas, wovon man selbst profitieren könnte. Da sind die Hürden im Kopf, glaube ich, noch ziemlich groß. Das Hauptproblem für viele ist, dass interne Strukturen angepasst werden müssen - da tun sich viele ganz schwer. Wir sind als Dienstleister da, um zu helfen und die Sachen schnell ins Internet zu bekommen.
Manche Firmen haben aber auch eigene Online-Vertriebs-Plattformen. Bauen Sie da eine Doppelstruktur auf?
Ich glaube, dass wir um Doppel- oder auch Triple-Strukturen gar nicht herumkommen; merkando wird natürlich niemals Amazon ersetzen. Das wollen wir auch gar nicht, ist überhaupt nicht unser Ansinnen. Die Händler mit eigenen Webportalen machen schon sehr viel richtig. Und gerade sie waren übrigens die ersten, die auf uns zugekommen sind und sich eingeklinkt haben. Sie nutzen uns weniger als Verkaufsportal, sondern in erster Linie als Marketingplattform.
Heißt also als eine Art Schaufenster?
Ganz genau. Ich habe schon viele Rückmeldungen bekommen, dass auf unserer Plattform einfach gerne gestöbert wird, auch ohne etwas zu kaufen. Und wenn ich schon ein Schaufenster habe, schadet es mir ja nicht, wenn ich noch ein zweites dazubekomme. Das ist, als ob Sie einen zweiten Laden eröffnen würden. Ist der Standort gut, kostet er Sie nichts und bringt Ihnen Geld. Wir gehen davon aus, dass wir ein guter Standort sind.
Und was kostet der merkando-Standort?
Den Teilnehmer in diesem Jahr nichts. Wir bauen hier ein Pilotprojekt, da wird noch fleißig gearbeitet, bis alles perfekt ist. Danach wird es eine Gebühr geben. Aber, und das ist uns ganz wichtig: keine Provision für gehandelte Ware. Die Marge muss beim Händler bleiben. Da unterscheiden wir uns von anderen Anbietern deutlich.
Über Schnittstellen zum Buchhandel oder Lebensmittelmarkt bekommen Sie Zugriffe auf Warenangebote in Millionenhöhe. Ist das nicht zu viel des Guten?
Ja, das ist zu viel. Wir haben uns jetzt vom Großhandel eine Liste über 2500 Bücher erstellen lassen, mit der wir ins Rennen gehen. Die Großhändler wissen genau, welche Bücher, Themen und Autoren sich aktuell gut verkaufen. Diese Schnittstelle wird regelmäßig upgedatet, Topseller kommen natürlich immer rein. Wir sitzen also an der Quelle des Großhandels - Verkäufer ist aber immer unsere Holzgerlinger Buchhandlung, also buch plus. Der Profiteur ist immer der lokale Händler, darum geht es uns ja.
Und wenn ein zweiter Buchladen - sagen wir CoLibri aus Schönaich - dazustoßen will? Gibt es einen Konkurrenzausschluss?
Ausgeschlossen wird niemand, Konkurrenz belebt das Geschäft. Im Zweifel kann der Kunde ja wählen, in welcher Buchhandlung er einkaufen will.
Wie regeln Sie das mit dem Lieferservice? Und in welchem Umkreis wird geliefert?
Das ganze Projekt ist für Händler und Kunden der Schönbuchlichtung gedacht, von Schönaich über Holzgerlingen natürlich, Weil, Altdorf, Hildrizhausen. Wir haben auch eine Händlerin aus Waldenbuch an Bord. Was über merkando umgesetzt wurde, ging bislang immer über den Lieferservice der Betriebe raus zum Kunden. Das funktioniert bislang super. Wir arbeiten aber auch daran, einen eigenen merkando-Lieferservice aufzubauen.
Und wird frei Haus geliefert?
Das kann von Fall zu Fall verschieden sein. Die Apotheke zum Beispiel liefert bei Vorlage von Rezepten immer frei Haus. In der Regel werden die Händler aber bei Bestellungen über merkando eine Zustellgebühr geltend machen, sonst ist das nicht lukrativ.
Die CDU im Bund hat jüngst den Vorschlag gemacht, Sonderabgaben für reine Online- Pakethändler einzuführen, um lokale Händler in Innenstädten zu stärken. Was halten Sie davon?
Also, da müssen wir differenzieren. Für einen reinen Online-Großhändler wie Amazon, der überhaupt keine Steuern bezahlt, mag ein solcher Vorschlag sinnvoll sein. Den Online-Handel allgemein zu besteuern, halte ich hingegen für fatal. Es ist doch die letzte Möglichkeit, die dem Einzelhandel in den Innenstädten bleibt, über Online-Auftritte Umsatz zu generieren. Manche Einzelhändler werden sich womöglich bald schon einen eigenen Laden nicht mehr leisten können und zu reinen Online-Händlern. Warum sollte man sie mit einer Steuer belegen und dafür "bestrafen", dass sie mit der Zeit gehen und innovativ sind?! Das ist doch völliger Humbug. Dann können wir am besten alle gleich zumachen. Wir sprechen da von einer Idee, die an die Planwirtschaft grenzt.
Eine solche Abgabe würde also Ihr Grundanliegen, den lokalen Einzelhandel zu stützen, komplett konterkarieren?
Absolut. Würde merkando als reiner Online-Marktplatz besteuert, müssten wir dieses Geld vom einzelnen Händler wieder einfordern oder eine Umsatzbeteiligung einführen, was wir nicht wollen. Da würde auch der Händler nicht mitspielen.
Heißt in der Konsequenz?
Der Händler bleibt offline und wird über kurz oder lang seinen Laden zumachen müssen. Ein ganz normaler Einzelhändler wird künftig einen vernünftigen Online-Auftritt brauchen, wenn er überleben will. Da bin ich mir ganz sicher.