Geflohen, um das eigene Leben zu retten
Seit sechs Jahren herrscht Krieg in Syrien. Hunderttausende hat er das Leben gekostet, Millionen Menschen sind auf der Flucht. Sie fliehen vor einem Regime, das, da sind sie sicher, ihr Leben vernichten wird. So erging es auch Mohamad Anas Kabara, einem jungen Mann mit 21 Jahren, der seine Familie, seine Freunde, sein Land und sein gutes Leben verlassen hat, um eben dieses zu retten. Er hat seit seiner Flucht im Januar 2014 viel erlebt. Derzeit macht er eine Ausbildung zum Pharmazeutisch Kaufmännischen Angestellten in der Alamannen Apotheke bei Dr Björn Schittenhelm und hat uns – in erstaunlich gutem Deutsch – einen Einblick in die vergangenen drei Jahre seines Lebens gegeben.
Mohamad lebte mit Eltern und Geschwistern in Damaskus, der Familie geht es wirtschaftlich gut – doch dann kommt der Bürgerkrieg und alles ändert sich. Bis zum Jahr 2011 hätte man als Syrer mit Visum das Land verlassen können - dann aber war das plötzlich nicht mehr möglich. So war es ihm klar, dass nach Beendigung der Schule die nächste Station seines Lebens Militärdienst, Krieg und möglicherweise Tod bedeutete. Sich zu weigern, in den Krieg zu ziehen, bedeutete dasselbe: den sicheren Tod.
Daher entschloss er sich, mit der Unterstützung seiner Familie nach Europa zu fliehen. Da ein Cousin in Tübingen lebt, war Deutschland natürlich seine erste Wahl. Seine Stationen in Kürze: mit dem Auto in den Libanon, dann per Flugzeug in die Türkei, wo er 5 Monate gearbeitet hat. Schließlich fand er ein Boot, mit dem es nach Griechenland gehen sollte, zusammen mit 36 anderen Flüchtlingen. Von Griechenland aus folgte ein langer Fußmarsch nach Mazedonien, danach war er 20 Stunden über Serbien und Österreich zu Fuß nach Ungarn unterwegs. Dort wurden Mohamad dann seine Papiere von den Grenzern abgenommen und er lebte einige Wochen in einer Asylunterkunft in Ungarn. Einem glücklichen Zufall war es zu verdanken, dass ihn ein Taxifahrer mit nach München und auf sein inständiges Bitten dann nach Stuttgart gefahren hat. So war er seinem Ziel schon sehr nahe gekommen. Dann begannen die Aufnahmeformalitäten in Deutschland, über Karlsruhe und Mannheim gelangte der junge Mann nach Filderstadt. Seit Oktober 2014 ist er anerkannt und hat auch wieder Papiere.
Es war ihm klar: ohne Deutschkenntnisse hat er keine Chance. Dies gelang in der VABO-Klasse in Nürtingen (Vorqualifizierungsjahr für Arbeit und Beruf für Menschen ohne Deutschkenntnisse), danach besuchte er in der Fritz-Ruoff-Schule in Nürtingen die VAB-Klasse, wo man sich als Schüler jede Woche einen neuen Praktikumsplatz suchen muss. Keine einfache Aufgabe!
Über die AWO lernte Mohamad eine tolle Apothekerin aus Filderstadt kennen, die ihm von November 2016 bis Juni 2017 die Möglichkeit gab, in ihrer Apotheke zu arbeiten. Sein Ziel, den Beruf des PKA zu erlernen, konnte er dort allerdings nicht erreichen, da es keinen Ausbildungsplatz in der Fleinsbach Apotheke gab. Seine Chefin, die sehr zufrieden mit ihm war, empfahl ihn daher Dr. Björn Schittenhelm, bei dem sie selbst schon gearbeitet hatte – und tatsächlich, nach einer Woche Probearbeiten in Holzgerlingen wurde der Ausbildungsvertrag geschlossen.
Nicht nur in Sachen Sprache macht Mohamad Fortschritte, er integriert sich auch gesellschaftlich und ist bei der Freiwilligen Feuerwehr in Leinfelden-Echterdingen, seinem Wohnort, engagiert. „Viele Menschen haben mir Gutes getan, so kann ich etwas zurückgeben,“ sagt er.
Sein Leben hier ist nicht einfach, seine finanziellen Mittel begrenzt, der Aufwand um mit öffentlichen Verkehrsmitteln seinen Ausbildungsplatz zu erreichen, enorm. Aber so bleiben ihm ein paar Ziele an denen er arbeiten kann und weniger Zeit, an seine Familie und sein Zuhause in Syrien zu denken. „Es macht mich sehr traurig, seit Januar 2014 konnte ich niemanden mehr aus meiner Familie sehen und wir können uns auch nicht besuchen!“ Für seine Familie ist es unmöglich ein Visum zur Ausreise zu bekommen, für Mohamad genauso unmöglich nach Syrien zu reisen. Keine einfache Situation in so jungem Alter. Auf die Frage, wie ihm die Menschen hier begegnen, antwortet er sehr nachdenklich: „Man glaubt in Deutschland wohl, wir kämen alle nur des Geldes wegen. Das stimmt aber nicht. Wir sind geflohen, um unser Leben zu retten, um nicht zu sterben.“
Ein Beispiel gelungener Integration ist also dieser junge Mann, der für viele steht, die ihre Heimat verlassen und in Deutschland leben wollen. Ein Beispiel auch dafür, dass diese Integration nicht allein mit eigener Kraft gelingt, sondern dass es Menschen braucht, die ihnen zur Seite stehen und sie unterstützen.
ast