Gespräch mit dem neuen HGH-Vorsitzenden Lennart Leibfried

aus dem Pluspunkte Magazin 01/2017

„ ... an der einen oder anderen Stelle einen etwas anderen Blick auf eingefahrene Abläufe.“

Bei Gründung der meisten Gewerbevereine, waren Online-Verkäufe des Handels unbekannt, der innerörtliche Verkehr gegenüber heute eher bescheiden, die meisten Geschäfte hatten Nachfolger aus der Familie, Filialisten waren selten, die Schaufenster mehrheitlich beleuchtet, es gab mehrere Metzger und Bäcker sowie „Wirtschaften“ zum Einkehren, Stammtischtreffen, Karten spielen und „afterwork-Bier“. Die Gewerbetreibenden trafen sich einige Zeit monatlich zum Stammtisch um auf kurzem Dienstweg Kollegen-Kontakte zu halten und über kommunalpolitische Themen zu sprechen. Obwohl Hertie, Zinser, Krauß, City-Center, Einkaufs-Zentrum, Breuningerland, innerstädtische Einkaufsstraßen in Böblingen, Sindelfingen und Stuttgart entstanden sowie jüngst die Mercaden, das Milaneo, Gerber und so weiter, entwickelte sich in Orten wie Holzgerlingen, Schönaich, Weil im Schönbuch unter anderem keine stabile Infrastruktur für kaufkraftbindende Nahversorgungsangebote.

Das Gegenteil war der Fall. Man kann darüber streiten, wo die Verantwortungen liegen. In den Parlamenten der Region oder des Landkreises, in Einzelfällen in Gemeinderäten oder gefördert durch Fehleinschätzungen der Unternehmer. Deshalb darf der Sinn von Gewerbevereinen, Werbegemeinschaften, ihre Zukunftschancen und Einflussnahme auf Entwicklungen inzwischen hinterfragt werden. Müssen gegebenenfalls neue Ziele und Aufgaben definiert werden. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden des HGH-Vorstands Lennart Leibfried (34) der dieses Amt seit April 2016 begleitet.

PPM: Das erste Jahr im Ehrenamt ist geschafft. Ihre wichtigsten Eindrücke im positiven wie im kritischen Sinne.

Leibfried: Für mich viele neue, überwiegend positive Eindrücke. Hervorzuheben die gute Zusammenarbeit im Vorstand. Die Atmosphäre unter den Mitgliedern des ‚harten Kerns‘ ist nahezu familiär und damit auch der Umgang miteinander. Ganz wichtig die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung, insbesondere mit den Herren Dölker und Delakos, die von kurzen Dienstwegen geprägt sind. Verbesserungspotential sehe ich darin, nämlich von den mehr als 140 Mitgliedsbetrieben noch mehr zum aktiven Mitmachen zu animieren und motivieren.

PPM: Die Suche nach Vereinsvorsitzenden gestaltet sich vielerorts immer problematischer. Die Gewerbevereine tun sich ebenso schwer. Hatte der HGH bloßes Glück beziehungsweise mit welchen Argumenten ließen Sie sich überzeugen mit Ihrem eher außergewöhnlichen Beruf einem Verein mit vornehmlich Handwerkern, Händlern und Dienstleistern vorzustehen?

Leibfried:
Hilfreich war die interessante Aufgabenstellung und meine Verbundenheit zu Holzgerlingen. In meinem Beruf bin ich selber überwiegend als Dienstleister tätig und ab und an muss ich auch konkrete „Gewerke“ produzieren – nur mit anderen Werkzeugen als der Schreiner oder der Maurer –, deshalb fühlte ich mich nicht als Fremdkörper im Team. Ich konnte vor meiner Wahl die Sitzungen des Vorstands sechs Monate begleiten und mir dadurch ein Bild machen von dem was mich erwartet. Außerdem, ich hatte einfach Lust an der Aufgabe.

PPM: Was können Sie dem Verein geben?

Leibfried: Aufgrund meines Alters kann ich dem Verein und dessen Vorstand eine Perspektive für die Zukunft geben. Zudem habe ich aufgrund meiner Persönlichkeit und meiner Sozialisation an der einen oder anderen Stelle einen etwas anderen Blick auf eingefahrene, möglicherweise verbesserungsbedürftige Abläufe.

PPM: Im Umfeld von Holzgerlingen explodieren die Verkaufsflächen des Handels. In ländlichen Regionen kämpfen die Fachgeschäfte buchstäblich ums Überleben? Welche Aufgaben wachsen hier dem HGH und den Kollegen in den Nachbargemeinden zu?

Leibfried: Nach meiner Wahrnehmung ist die Auftragslage in den Handwerksbetrieben überwiegend gut, diese Betriebe leiden mehr darunter, dass ihnen der passende Nachwuchs, die von Ihnen angesprochenen Fachkräfte fehlen. Der HGH wird insofern derzeit und kurzfristig für die Handwerker nicht viel tun können. Größere Sorgen mache ich mir um unsere Einzelhändler. Der Einzelhandel hat in größerem Maße gegen die Konkurrenz aus dem Internet und den großen Shopping-Centern zu kämpfen. Hier müssen wir – ich meine damit die betroffenen Händler, den HGH und die Stadt Holzgerlingen – weiterhin an einem schlüssigen Gesamtkonzept arbeiten, welches den Endkunden klarmacht, wo der Mehrwert liegt, wenn sie in Holzgerlingen und nicht im Internet und nicht in großen und überwiegend anonymen Shopping-Centern einkaufen. Wir müssen dafür die Fachgeschäfte und Fachdienstleister noch mehr in den HGH und in die von uns organisierten Events einbinden und hoffen auf rege und aktive Teilnahme unserer Mitglieder.