Interview: "Keiner weiß, was in vier Wochen sein wird"

Alex Stamm, Vorsitzender vom Handels- und Gewerbeverein Holzgerlingen über Sorgen und Nöte von Mitgliedsbetrieben

Artikel vom 07. April 2020 aus der Kreiszeitung / Böblinger Bote

Die Corona-Krise ist eine Wirtschaftskrise. Betriebe stehen still, Ladentüren bleiben zu. Der Handels- und Gewerbeverein von Holzgerlingen repräsentiert Mitglieder aller Wirtschaftssektoren: Handwerker, Dienstleister, Gastronomen, Gewerbebetriebe und Einzelhändler. Die Kreiszeitung hat beim Vorsitzenden Alex Stamm nachgefragt.

Von Martin Müller

Hallo Herr Stamm, wie sieht es aus bei Ihren Unternehmen? Vermutlich brummt das Handwerk noch am ehesten?

Ja. Von vielen Handwerksbetrieben ist zu hören, dass dort ganz normal unter Volllast weitergearbeitet wird. Natürlich behalten sich die Handwerker vor, im Falle von Erkrankungen bei ihren Klienten auch Terminen fernzubleiben oder den Kontakt abzubrechen.

Und bei Großprojekten, wenn ganze Kolonnen von Bauarbeitern und Gewerken am Start sind?

Das hab ich mich in der Tat auch schon gefragt. Ich gehe davon aus und habe das auch schon beobachtet, dass die gebotenen Sicherheitsabstände immer eingehalten werden.

Also im Handwerk kein Problem?

Eher nicht. Ich habe auch schon Handwerker gesprochen, die nicht nur auf ihren Baustellen unterwegs sind, sondern die Zeit nutzen, um ihre eigenen, geschlossenen Ausstellungsräume jetzt auf Vordermann zu bringen und umzubauen. Also: Es gibt schon Bestrebungen, positiv mit der Situation umzugehen.

Gibt es Wasserstandsmeldungen vom Einzelhandel?

Den Einzelhandel trifft es sicher mit am härtesten. Wir haben in Holzgerlingen ja schon recht schnell einen Lieferservice eingeführt, noch bevor der Shutdown vor drei Wochen kam: Es ist einfach ein Gebot der Stunde, den lokalen Handel zu stärken und das Rennen jetzt nicht Anbietern wie Amazon zu überlassen.

Wie genau funktioniert der Service?

Wir machen das in Zusammenarbeit mit den Holzgerlinger Apotheken und nutzen deren Online-Shop-System. Schon am Sonntag vor dem Shutdown haben wir ausgetüftelt, wie es funktioniert, alle unsere Einzelhändler kontaktiert und ermuntert, da mitzumachen. Wir haben auf der Website apotheke-holzgerlingen.de unter dem Reiter "Holzgerlinger Lieferservice (HLS)" einen eigenen Marktplatz generiert. Die Apotheke stellt den Service kostenfrei zur Verfügung - mit dem dazugehörigen Abrechnungssystem im Hintergrund. Da finden sich zum Beispiel das Blumenhaus Schmid, das Obst oder Gemüse liefert, die Bäckereien Wanner und Binder mit frischen Backwaren, der Computerservice BBPC mit Produkten fürs Homeoffice und bald auch der CAP -Markt. Einfach kostenlos anmelden und bestellen, und der Lieferservice wird in Gang gesetzt. Geliefert wird auf der gesamten Schönbuchlichtung. Händler mit eigenen Systemen wie unsere Getränkehändler, der Querpass, Buch plus, Richter media@home werden aber auch aufgelistet und verlinkt. Diese Liste wird permanent abgefragt und ergänzt.

Und dieser Lieferservice kostet extra?

Nein, den Kunden entstehen keine Extrakosten und es wird auch noch am selben Tag geliefert. Oft stimmen sich die Händler untereinander ab, wie sie das am besten organisiert bekommen. Im Augenblick haben wir zirka 150 Fahrten am Tag. Aber auch vom HGH sind jetzt freiwillige Helfer am Start. Wir stehen mit fast allen Händlern im Kontakt, bewerben die Aktion. Natürlich ist das nicht für alle Händler gleich einfach: Manche wie der Glasgarten haben ein sehr exquisites Sortiment an Einzelstücken, das sie nicht im Foto auf dem Marktplatz abbilden können. Bei anderen, wie dem CAP-Markt, besteht dann das umgekehrte Problem, dass es ein sehr großes Sortiment gibt, was mit hohem Aufwand organisiert ins System muss. Diese Kosten trägt der HGH. Die Stadt Holzgerlingen unterstützt uns hier natürlich auch mit all ihren Möglichkeiten.

Wie sieht es bei den Gastronomen aus?

Alle Gastronomiebetriebe kochen weiter! Das Essen wird geliefert oder man kann Bestellungen selbst abholen. Hier muss niemand auf sein Lieblingsgericht verzichten. Generell gilt: einfach anrufen und mit den Gastwirten sprechen. Alle sind erreichbar. Ein Abwandern der Kundschaft wäre jetzt für viele Unternehmen der KO.

Und was machen jetzt Dienstleister wie Friseure oder Entertainer zum Beispiel wie ein Timo Marc, für den es quasi ein Berufsverbot gibt?

Für Timo Marc ist es jetzt natürlich hart, nicht nur wegen der Absage des Holzgerlinger Varietés. Die Veranstaltungsbranche, zu der auch unsere Messebauer gehören, liegt ja brach. Aber Timo ist ein positiv denkender Mensch, der jetzt sicher ein Super- programm für die kommenden Monate ausarbeiten wird. Er ist jetzt tatsächlich auch mit am Start beim Lieferservice. Auch für die Friseure ist es bitter, die sind wirklich Opfer der Pandemie. Manche der Dienstleister sind jetzt einfach damit beschäftigt, Bankgespräche zu führen, Kredite zu stunden, Kurzarbeit zu etablieren, einfach auszuloten, was geht. Als Mittelstands- und Kleinunternehmer ist man meistens in diesen verzwickten Fragen nicht fit. Bei vielen geht es da wirklich ans Eingemachte und ums Überleben.

Kann der HGH da Hilfestellung leisten?

Wir versuchen unseren Mitgliedern zu helfen, wo wir können. Jenseits des Lieferservices beschränkt sich dies aber oft auf die Weitergabe von Informationen oder Vermittlung von Ansprechpartnern. Und wir verweisen auf die Angebote der Stadt, die viel macht und jetzt auch eine Telefonbetreuung für Bürger, die Gesprächsbedarf haben, eingerichtet hat: das sogenannte Schwätzles-Telefon.

Der HGH ist stark involviert beim Stadtfest und Seifenkistenrennen am 25./26. Juli. Herrscht hier auch schon Alarmstufe rot?

Nein. Die Planungen laufen weiter. Viele Strukturen sind hier etabliert worden, die können auch einfach übernommen und zu einem späteren Zeitpunkt aktiviert werden, - wenn es denn sein müsste. Aber natürlich ist es jetzt mühselig und aufwendig, sich in den Vorbereitungsteams weiter abzustimmen.

Ihre eigene HGH- Jahreshauptversammlung haben Sie abblasen müssen. Ein neuer Termin ist wahrscheinlich nicht absehbar. Planungen sind sowieso Makulatur, oder?

Ja. Unsere eigenen Veranstaltungen verschieben wir jetzt erstmal auf Unbekannt. Und wir stimmen uns intern überwiegend online ab. Ansonsten fügen wir uns und warten mal ab, wie weit das Wasser noch steigt. Keiner weiß heute, was in vier Wochen sein wird. Das macht Planungen eigentlich unmöglich. Einige Wochen kann wahrscheinlich jeder von uns mal überbrücken. Aber bei drei Monaten, in denen beispielsweise ein Friseur seine fünf Angestellten bezahlen muss, da wird es sicher mehr als eng. Und das ist für uns Unternehmer eigentlich mit das Schlimmste: Wir wissen gar nicht, worauf wir uns einstellen sollen.