Laternen wirken wie Hoffnungsschimmer
Aus der Kreiszeitung / Böblinger Bote vom 23.10.2020
Der Handels- und Gewerbeverein veranstaltet dieses Jahr coronabedingt anstelle des beliebten Holzgerlinger Herbstes eine Lichteraktion. Nur ein kleiner Trost, an dem dafür jeder – ob Einwohner oder nicht – teilhaben kann.
HOLZGERLINGEN. Es dämmert, Regentropfen nieseln zu Boden und doch ist es heimelig in der Holzgerlinger Innenstadt. Bunt bemalte Laternen in vielen verschiedenen Formen zieren die Schaufenster der Läden, hübsch dekoriert mit Lichterketten.
Seit zwanzig Jahren organisiert der Handels- und Gewerbeverein den Holzgerlinger Herbst, ein Straßenfest mit Ständen und Veranstaltungen. Dieses Jahr, ausgerechnet im Jubiläumsjahr, natürlich in anderer Form. „Die große Frage war für uns, wie bekommen wir ohne große Versammlungen Besucher in die Läden?“, sagt der Vereinsvorsitzende Alex Stamm. Die Antwort: Statt Herbstinspirationen gibt es mehr Angebote in den Läden, die Kunden auf der Homepage des Vereins finden. So könne man die Besucherzahlen von einem Tag auf mehrere Wochen strecken.
Doch das war dem Verein nicht genug. Gemeinsam mit der Stadt entstand die Idee für den „Leuchtenden Herbst“. Bürger, Bürgerinnen und Kindergärten wurden dazu aufgerufen, Laternen zu basteln. Insgesamt kamen 350 Stück zusammen, die anschließend in 25 Läden verteilt wurden. Jetzt hängen leuchtende Fledermäuse, Eulen, Raben, Einhörner und Monster in den Schaufenstern der Innenstadt. Wenn es in den nächsten Tagen dunkler wird – mit Umstellung auf die Winterzeit ab Sonntag noch früher –, dann kommen sie noch besser zur Geltung.
„Wir hoffen, dass die Kinder ihre Eltern mit in die Läden nehmen“, erklärt der HGH–Vorsitzende den Kern der Idee. „Dann finden diese vielleicht auch wieder Spaß daran, direkt im eigenen Dorf einkaufen zu gehen.“ Denn das Angebot sei da.
Bunte Monster mit Styropor-Augen zieren das karge Holz im Schaufenster bei Elektro Klein. Ein Einhorn schmückt die Volksbank und auch die Bäckerei Wanner hat ihr Brotsortiment mit hübschen Lichtern verfeinert.
„Das ist wirklich süß“, findet Darline Niedermauntel. „Kurz nach Beginn der Aktion stand auch schon das erste Kind im Laden, zeigte auf eine der Laternen und rief: ’Das ist meins!’“, berichtet die Inhaberin der Boutique Upstairs. Sie hat ihr Schaufenster mit Uhu-Laternen und Lichterketten dekoriert. „Zuerst kam der Schock“, erinnert sie sich an den Beginn der Corona-Pandemie im März zurück. Aber dann habe sie die Zeit mit der Familie genossen. Seit sie ihr angeschlossenes Nagelstudio wieder öffnen durfte, besuchen sie sogar noch mehr Kunden als vorher. Den Grund sieht sie in der Einhaltung von Hygiene-Regelungen in ihrem Laden begründet.
Einen erneuten Lockdown kann sie sich dennoch nicht leisten. „Das wäre das Ende, auch für viele große Geschäfte“, stellt Darline Niedermauntel nüchtern fest. „Wenn die Leute keine Arbeitsplätze mehr haben, kommen sie auch nicht, um ihre Nägel zu machen oder neue Klamotten zu kaufen.“ So geht es auch Edith Mikolaj. Sie ist seit drei Jahren Inhaberin des Glasgartens und hat ebenfalls bunte Laternen im Schaufenster, die mit den verschiedenen Farben der Glasgegenstände harmonieren. „Wenn man einen Laden erst wenige Jahre führt, hat man natürlich noch keine großartigen Reserven“, sagt sie. Trotzdem konnte ihr Geschäft den Monat Lockdown gut überstehen, was sicher auch an dem Zweitjob der Inhaberin im Amtsgericht lag. Doch die Nachwehen auch für ihre Handelspartner seien noch nicht absehbar. Ihr Bruder stellt die Ware in Handarbeit her – doch nächstes Frühjahr werden seine Glashasen keinen Weg nach Holzgerlingen finden. „Unser ganzes Ostersortiment von diesem Jahr liegt noch im Keller“, sagt die zweifache Mutter. Das werde dann wiederverwendet.
Auch sie fürchtet, dass es bei einem zweiten Lockdown für ihren Laden nicht mehr so rosig aussähe wie bisher. „Der erste Monat war machbar. Ein zweiter Monat wäre kritisch gewesen und der dritte hätte uns den Garaus gemacht“, sagt ihr Mann. Edith Mikolaj, die aus einer Glasbläserfamilie stammt, lebt mit dem Glasladen ihren großen Traum. Ob sie daran noch länger Freude haben wird, ist in Coronazeiten schwierig zu sagen. Die hübsche Laterne in ihrem Schaufenster wirkt da wie ein Hoffnungsschimmer.
„Es bewegt sich was“, versucht sich Alex Stamm an einer ersten Bilanz des Leuchtenden Herbstes. „Die Aktion läuft langsam an“, es kämen immer wieder Kindergruppen, um in den Schaufenstern ihre Laternen zu suchen. In die Läden werden sie vermutlich erst gehen, wenn sie ihre Werke abholen dürfen. Aber der HGH sei froh, überhaupt eine Aktion auf die Beine gestellt zu haben. Und dann auch noch eine, an der jeder teilhaben kann. Noch bis Anfang November hängen die Laternen aus und sollen die Herzen der Innenstadtbesucher ein Stück erhellen. Anwohner beobachten abends auch schon den ein oder anderen, der an einem hübsch dekorierten Fenster stehen bleibt.
Am Ende der Aktion dürfen die Kinder ihre Werke suchen und wieder mit nach Hause nehmen. Vielleicht finden sie beim jährlichen Laternenlauf am 11. November erneute Verwendung? Für die Einhaltung der Abstandsregeln sorgen dann schon die Laternenstecken in den Händen der Kinder. Und von der Stadt gibt’s für die Kleinen zusätzlich ein Geschenk.
Text: Selina Brecht / Foto: Stefanie Schlecht